Da, wo Benedikt Zangerle herkommt, herrschen raue Sitten. Nie Zeit, immer Druck, Stress, Kritik, Hektik, Erschöpfung,Verzweiflung, viel zuwenig Personal, Geld- und Platznot, Konkurrenz und unzählige unberechenbare Faktoren wie etwa Wetter oder Launen. Doch der 51-Jährige liebt dieseWelt, die voll ist von Leidenschaft und Hingabe, vom Streben nach Perfektion, von Gerüchen und Geschmäckern, von Erfüllung und Bestätigung. Benedikt Zangerle ist Koch. Besser gesagt: Er war Koch. Lange genug, wie er 2011 befand, und umsattelte. Losgelassen hat ihn die Branche dennoch nicht. Heute coacht er die Küchenchefs. Er berät, analysiert, optimiert und redet sich denMund fusslig:Was allesmöglich wäre, wenn. Wie viel Optimierungspotenzial in vielen Betrieben steckte, die sich mühevoll von Saison zu Saison schleppen. Welch ungeheure Chancen ungenützt brachlägen.
„Viele Gastronomen sind sich ja gar nicht bewusst, wie leicht eswäre, denHebel anzusetzen“, sagt Zangerle.Woran esmangelt? „Wo soll ich anfangen?“, sagt er und lächelt gequält. „Die vorhandenen Ressourcen werden nicht genutzt, die Kochmethoden sind meist veraltet, die Technik wird falsch eingesetzt, es fehlt an Bewusstsein gegenüber Lebensmitteln – soll ich fortfahren?“ Ja, bitte. „In der Gastronomie herrscht brutaler Mitarbeitermangel, es gibt keinen konkurrenzfähigen Kollektivvertrag. Und die Ausbildung ist nicht zeitgemäß, die Lehrpläne sind veraltet, die Schulen nicht mehr am Puls der Zeit. Außerdem darf bei uns jeder Lehrlinge ausbilden, es gibt keinerlei Zertifizierung der Lehrbetriebe.“ Benedikt Zangerle trägt sein Herz auf der Zunge.
Was er tut, tut ermit Leib und Seele. Redet er, dann Klartext. 1966 in Galtür im Tiroler Paznaun geboren, steht der quirlige Familienvater seit 1981 hinterm Herd. Nach wie vor sehr gern, wie er betont, jedoch nicht mehr beruflich. „Ich möchte nach 30 Jahren auf Saison nichtmehr jede Woche 50 Stunden und mehr in der Küche verbringen.“
Auch seinen Lebensmittelpunkt hat er auf drastischeWeise verlagert – von Galtür nach Bad LeonfeldeninsMühlviertel, unmittelbar an der Grenze zu Südböhmen. „Das passt schon“, sagt er selbstbewusst.
Unterwegs ist er ohnehin viel, da kommt er oft in die gebirgige Heimat. Der Küchencoach hat eineMission: die schwere Arbeit in der Küche zu erleichtern. „Abfallvermeidung ist das Gebot der Stunde.“ Als neuartigen Trend sieht er das nicht. „Ich bin im Grunde ein Koch der alten Schule, der gelernt hat, möglichst alles zu verwerten.“Was ihn diesbezüglich überaus sauer aufstößt, ist der Umgang mit Lebensmitteln. Besser gesagt: deren Verschwendung. „Also ich bin bei Gott keinVeganer, ich esse gern Fleisch. Aber für jedes Blattl Schinken, das irgendwo überbleibt, musste ein Tier sterben.“ Auch punkto Obst und Gemüse versteht er keinen
Spaß: „Was es da an Ressourcen braucht, um es wachsen zu lassen – um am Ende im Kübel zu landen.“ Kurzum: Die Wertschätzung von Lebensmitteln müsse eine andere werden, wird Benedikt Zangerle nicht müde zu predigen. Doch das ist nur ein Teil seiner Arbeit.
Holt sich ein Gastronomiebetrieb den Küchencoach zur Hilfe, dann beginnt allesmit einer Kennenlernphase.
„Damit die Angst verschwindet. Was ganz wichtig ist: dass man sich auf Augenhöhe begegnet. Ich hätte das auch nicht gewollt, dass da jemand daherkommt undmich von oben herab belehrt.“ Es folgt die Erhebungsphase. Einen Tag lang heftet sich Zangerle an die Fersen des Küchenchefs, notiert, beobachtet und kocht im Notfall auchmit. „Es ist auch viel Reden dabei. Ich frage, wo es hapert, ich fühle dem Koch auf den Zahn. Man muss aber höllisch aufpassen, dassman niemandemauf den Schlips steigt.“ AmEnde gab es bisher eigentlich nur strahlende
Gewinner. Der Betreiber darf sich freuen, weil er sich im Schnitt rund 10.000 Euro jährlich erspart, folgt er den Ratschlägen Zangerles. Und der Koch ist zufrieden, weil ihm oftmals die betriebsblinden Augen geöffnet werden, wenn der Küchencoach das eingefahrene System justiert.
Was etwa die Gerätschaft betrifft, so ist Zangerle ein großer Verfechter der Weniger-ist-mehr-Theorie. „Wenig Geräte, die dafür modern. Das reicht.“ Was der 51-jährige Tiroler gar nicht fassen kann, ist, dass die heimischen Gastronomen aufHilfsmittel verzichten, die indenNachbarländern bereits seit Jahren erfolgreich zum Einsatz
kommen – wie etwa die Verwendung eines Schockfrosters. „So lagern ständig frische und selbst zubereitete Speisen oder Zutaten im Kühlhaus. Er hilft auch am Personalsektor, um von Teildiensten wegzukommen, die Qualität unabhängig vom Geschäft zu sichern und Stress und Hektik deutlich zu reduzieren.“
Auf Berghütten habe er erlebt,wie der Schockfroster im Zusammenspielmitmodernster Technik seine ganze Stärke ausspiele. „In den Zeiten, wo weniger Gäste kommen, kann das Personal vorbereiten. Was auch immer, von hausgemachter Patisserie bis hin zu Knödel oder Schnitzel. Ist das Lokal voll, kannman die Speisenmitminimalem Aufwand bereitstellen“, schwärmt Zangerle. Zusätzliche Vorteile: Man sei nicht mehr so sehr auf gelernte Fachkräfte angewiesen, die Qualität sei immer gleichhochund es entstehenkaumAbfälle.
Worumes demEx-Küchenchef vor allemgeht: „Die Leute sollen länger im Geschäft bleiben und nicht mit 45 Jahren ausgebrannt sein. Sie haben zwar viel Erfahrung, aber keine Kraft mehr. Die gehen uns sehr ab.“ Was man nicht vergessen sollte: Benedikt Zangerle ist Coach, kein Magier.
Bei allen Erleichterungen, die in seinen Tipps stecken, weiß er einesmit Sicherheit: „Die Küche wird immer ein hartes Geschäft bleiben.“
Salzburger Nachrichten-THEMA Menschen hinter den Schlagzeilen DIENSTAG, 3. APRIL 2018
Text: Andreas Tröscher