Forschungsprojekt mit drei österreichischen Krankenhäusern zeigt: Freie Gängewahl führt nicht zur Reduktion von Lebensmittelabfällen

Flexible Wahlmöglichkeiten von Patient:innen bei der Verpflegung in Krankenhäusern in puncto Gängewahl (z.B. Abbestellen von Suppe, Salat oder Dessert) führt nicht automatisch zu weniger Lebensmittelabfällen. Das zeigt ein Forschungsprojekt der Branchenplattform United Against Waste, bei dem  mit drei österreichischen Krankenhäusern in mehrwöchigen Erhebungen die Auswirkungen der Bestellsystematik „Fixe Menüs vs. flexible Gängewahl“ auf Lebensmittelabfallvermeidung untersucht wurde. Das Ergebnis: Das Essensangebot und die Essensqualität, sowie Abwesenheiten von Patient:innen z.B. durch Operationen haben mehr Einfluss auf die Lebensmittelabfallmenge, als die Option einer freien Gängewahl für Patient:innen.

Fast ein Drittel der ausgegebenen Essensmenge landet in heimischen Spitälern in der Tonne, denn der durchschnittliche Verlustgrad (Verhältnis von vermeidbarem Lebensmittelabfall im Vergleich zum ausgegebenen Essen) liegt aktuell im Durchschnitt bei 29 %[1] – das ist nicht nur ein großer Kostenfaktor, sondern belastet auch das Klima. Um die größten Hebel bei der Lebensmittelabfallvermeidung zu identifizieren hat die Initiative United Against Waste gemeinsam mit drei österreichischen Krankenhäusern untersucht, ob eine Umstellung des Systems von einer Menü- auf eine Gängewahl zu einer Reduktion von Lebensmittelabfällen führt. Das Ergebnis war eindeutig: Die Umstellung von einer Menü- auf eine Gängewahl führte nicht zu einer Verringerung der absoluten Abfallmenge. Die täglich ausgegebene Essensmenge sank zwar [2], die Lebensmittelabfallmenge blieb aber in etwa auf gleichem Niveau [3]. So ergibt sich ein relativer Anstieg des durchschnittlichen Verlustgrades von 27% auf 30% [4].

Detailergebnisse einzelner Komponenten

An den drei an der Untersuchung beteiligten Krankenhausstandorten wurde auf jeweils zwei Stationen während eines dreiwöchigen Zeitraums im Herbst 2022 eine Erhebung mit klassischer Menüwahl und einer weiteren mit Gängewahl im Frühjahr 2023 durchgeführt. Der Speiseplan und die Rahmenbedingungen waren dabei ident, erhoben wurden Lebensmittelabfälle und ausgegebene Essensmenge. Bemerkenswert war bei der freien Gängewahl, dass die Patient:innen trotz der flexibleren Wahlmöglichkeiten weiterhin dazu tendierten, alle drei bis vier Gänge auszuwählen, während die Tellerreste trotz Umstieg des Bestellsystems gleich blieben.

An zwei der drei Pilotstandorte wurden  die Lebensmittelabfälle zusätzlich nach einzelnen Komponenten sortiert. Die Ergebnisse zeigen, dass bei der Abfallzusammensetzung vor allem Salat und Sättigungsbeilagen, sowohl bei der Menü- als auch bei der Gängewahl die höchsten Verlustgrade aufweisen. Der Anteil an Süßspeisen an der Abfallmenge war am geringsten.

Abbildung 1: Durchschnittlicher Verlustgrad Menüwahl/Gängewahl am Standort A & B [5]

Essensqualität und Abwesenheiten beeinflussen Lebensmittelabfall

Um andere Hebel bei der Lebensmittelabfallvermeidung in Krankenhäusern abseits von der Gängewahl unter die Lupe zu nehmen wurden zusätzliche Analysen durchgeführt, die auf andere Ursachen in Sachen Lebensmittelabfall hinweisen.

Synchron verlaufende Verlustgrade zwischen Menü- und Gängewahlsystem und hohe Tagesschwankungen – teilweise zwischen 15 % und 51 % – deuten darauf hin, dass zwischen dem  Essensangebot und dem Lebensmittelabfall ein enger Zusammenhang besteht. Denn die einzige Konstante in beiden Erhebungen war eben das Essensangebot; andere Faktoren wie konkrete Patient:innen, Jahreszeiten und Personal variierten zwischen dem System der Menü- und Gängewahl. 

Abbildung 2: Verlustgrad pro Tag, Menüwahl/Gängewahl; Standort B; stationsübergreifend [6]

Die angebotenen Speisen entsprechen möglicherweise nicht immer den Erwartungen von Patient:innen. Es können Qualitätsverluste der Speisen am Weg zu den Patient:innen entstehen, zum Beispiel durch zu lange Vorlaufzeiten bei der Zubereitung, wie bei bereits marinierten Salaten oder gebackenen Speisen.

Ein weiterer Faktor beeinflusst den Lebensmittelabfall in Krankenhäusern: Die mitunter fehlende oder verspätete Kommunikation von Abwesenheiten von Patient:innen durch Operationen oder Entlassungen am Wochenende. Das zeigt zum Beispiel ein Vergleich von Verlustgrad und Anzahl der Operationen an einem der Pilotstandorte. In einem anderen Krankenhaus wiederum, sind die Verlustgrade im Menü- und Gängewahlsystem vor allem an den Wochenenden hoch, was auf das fehlende Kommunizieren von Abwesenheiten hinweist.

Abbildung 3: Verlustgrad in Relation zu Operationen (= Abwesenheit von Patient:innen) pro Tag, Standort A, Station Unfall, System Gängewahl [7]

Eine weitere Erkenntnis: Teilweise bestehen große Schwankungen der Portionsgewichte von identen Menüs. So wog zum Beispiel an einem Standort im System der Gängewahl am zweiten Tag das Menü1 um 40 Gramm weniger, dafür die Menüs 2 bis 4 um bis zu 255 Gramm mehr als bei der Erhebung mit Menüwahl. Das deutet auf nicht genaues Schöpfen von Speisen hin, was nur bei einer entsprechenden Überproduktion erfolgen kann.

Fazit und Lösungsansätze

Eine Gängewahl hat in Krankenhäusern keinen Einfluss auf die Reduktion von Lebensmittelabfällen.

In Betriebsrestaurants oder Reha-Zentren stellt sich die Lage aber anders dar: diese arbeiten sehr wohl erfolgreich mit Gängewahl bzw. mit Buffetsystemen, um Lebensmittelabfälle zu reduzieren. Eine mögliche Erklärung: Patient:innen in Krankenhäusern sind meist nur für einen kurzen Zeitraum von ein paar Tagen vor Ort und kennen das Speisenangebot nicht –  Mitarbeiter:innen in Betriebsrestaurants oder Rehazentren wiederum werden über längere Zeiträume verpflegt und können sich so bereits im Vorhinein ein besseres Bild über die Speisen machen und entsprechend ihrem Geschmack wählen, was Tellerreste reduziert.

Im komplexen System Krankenhaus beeinflussen hingegen andere Faktoren die Entstehung von Lebensmittelabfall stärker. Es gibt dabei nicht nur eine Ursache, sondern entstehen Lebensmittelabfälle oftmals im Zusammenspiel mehrerer Faktoren und können auch von Standort zu Standort variieren. Deshalb  ist eine individuelle, schrittweise Analyse der eigenen Prozesse notwendig:

  • Rücklauf punktuell beobachten und ggf. Essensangebot anpassen und/oder Komponenten streichen, ersetzen oder verbessern.
  • Abstimmung und Kommunikation der Erkenntnisse mit Diätologie, um ggf. Essensangebot anzupassen
  • Essensqualität überprüfen: Rechtzeitig kosten und testen in der Küche, regelmäßige Durchführung von Teamverkostungen, Blattsalate ggf. erst am Bett marinieren
  • Speisenangebote an die Gegebenheiten in Küche, Stationen und ggf. an Außenstandorte anpassen (z.B. Wege von Küche zu Stationen oder System – Cook & Chill oder Frischküche – mitbedenken)
  • Essen bei Abwesenheiten abbestellen und/oder Patient:innen bzw. Bewohner:innen im Bestellsystem auf „nüchtern“ setzen.
  • Beim Tablettieren wiederholte Stichprobenkontrollen durch Messen und Verwiegen von Suppen, Salaten, Beilagen usw. in regelmäßigen Abständen durch Köche/Küchenleitung
  • Ausreichend Portionierwerkzeug im Küchenbestand, welches auch beschriftet vorbereitet ist.
  • Erstellung eines Kellenplans: Welches Werkzeug ist wofür?
  • Wiederholte Einweisung des Ausgabepersonals für Portionierung
  • Musterteller am Band darstellen: Von jedem Gericht einen Musterteller fotografieren und während dem Tablettieren auf Bildschirm im Ausgabebereich anzeigen.
[1] Ergebnisse basierend auf Zahlen von 170  teilnehmenden Großküchen-Standorten (davon 47 Krankenhäuser) in Österreich im MONEYTOR-Abfallmonitoring-Programm – United Against Waste Halbjahresauswertung 2023
[2] Von durchschnittlich 28,42 kg auf 25,81 kg pro Tag
[3] Von durchschnittlich 7,68 kg auf 7,77 kg pro Tag
[4] Durchschnittlicher Verlustgrad aller drei Standorte; Sample: 100 Tage; 3 Standorte; insgesamt 6 Stationen; Zeitraum Nullmessung (Menüwahl): zwischen 15.11. und 4.12.2023; Zeitraum Pilotmessung (Gängewahl): zwischen 28.02. und 26.03.2023
[5] Nicht alle Tellerreste vom Mittagessen der Stationen konnten nach Komponenten getrennt werden. Manche Tellerreste vom Mittag wurden erst abends retourniert und sind somit nur im Verlustgrad ⌀ Gesamt enthalten (= gemischte Reste). Bei der Messung der Lebensmittelabfälle wurden nicht zuordenbare Reste in einem gesonderten Kübel („Sonstiges“) gesammelt. Auch diese Reste sind lediglich im Verlustgrad ⌀ Gesamt enthalten. Gemischte Reste: Nullmessung: ⌀ 2,53 kg; Pilotmessung: ⌀ 3,18 kg; „Sonstiges“: Nullmessung;
⌀ 0,028 kg; Pilotmessung: ⌀ 0,034  kg; Ausgewertete Tage: 62; Stationen: 4
[6] ⌀ Verlustgrad NM: 28%; ⌀ Verlustgrad PM: 30 %; Ausgewertete Tage: 20; Stationen: 2
[7] ⌀ Verlustgrad PM: 26 %; ausgewertete Tage: 11; Stationen: 1
Ansprechperson

United Against Waste
Julia Salzlechner
julia.salzlechner@tatwort.at
T +43 (0) 1 409 55 81-227

 

Das Forschungsprojekt wurde mitfinanziert durch die Abfallvermeidungs-Förderung der Sammel- und Verwertungssysteme für Verpackungen.